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Blog

24.10.2017

 

START des Blogs

 

Nach einer gut zweijährigen Unterbrechung führe ich hier das Tagebuch als Blog weiter, um meine Erfahrungen und Erlebnisse als Trans*-Frau öffentlich zu teilen.

 

Ich schreibe gerne, wie man sicher unschwer anhand des Umfangs der Beiträge vermuten kann. Einerseits verspreche ich mir davon Selbsthilfe, um meine eigenen Probleme durch das Schreiben besser zu bewältigen (ich quatsche halt nicht gerne über meine Probleme, schon gar nicht am Telefon), andererseits möchte ich auch Hilfe für andere Betroffene anbieten, indem ich hier offen Aufklärung betreibe.

 

Die gewählten Themen sind sicher sehr speziell. Ich hoffe aber, dass sie Außenstehenden erlauben, meine transidente Seite besser zu verstehen.

 

25.10.2017


Brustaufbau

 

Nach dem üblichen Genehmigungsweg und aufgrund der fehlenden diesbezüglichen Wirkung der Hormontherapie, habe ich Anfang April 2017 endlich den seit meiner Jugend ersehnten Brustaufbau* bekommen.

 

Früher, als alles schlechter war und ich noch kein(e) Brüste / Titten / Hupen / Busen / Oberweite / Äpfelchen / Holz vor der Hütt'n hatte ...  (es gibt ja so viele Namen dafür, warum nur? ;-) ... da hätte ich nie gedacht, dass es für mich jemals zur Normalität werden könnte, eigene wohlproportionierte Brüste zu besitzen; mein eigenes Dekolleté sehen zu können; den ganzen Tag einen BH zu tragen oder wirklich zu spüren, wie sich verschiedene Bekleidungsstoffe über den Brüsten spannen.


Ich habe mir natürlich immer schon Gedanken gemacht, wie es wäre, wenn. Beim Gehen, beim Joggen, beim Springen oder Reiten oder in der Achterbahn. Brüste waren und sind für mich der Inbegriff der Weiblichkeit. "Mammalia", die Säugetiere, zu denen ja nun auch der Mensch gehört, tragen ihren Namen nur wegen Ihnen.
Folgerichtig hatte es eine enorme Faszination, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn ich Brüste hätte. Irgendein Fußballer soll mal gesagt haben "Wenn ich Brüste hätte, würde ich mir den ganzen Tag lang an den Nippeln rumspielen". Ja, so denkt ein Mann.

 

Ich habe jahrzehntelang eine Menge Phantasie und Vorstellungskraft darauf verwendet, mir vorzustellen, wie das wohl wäre. In dieser langen Zeit blieb das für mich die einzige Möglichkeit, meiner Transsexualität Raum zu geben. Die Gedanken sind frei. Aus der jetzigen Perspektive als Transfrau und rückblickend betrachtet, kann ich sagen, dass diese Vorstellungswelt so weit gar nicht weg war von der aktuellen Realität. Natürlich kann ich Extremvorstellungen immer noch nicht vergleichen und werde dies auch nie können. Auch darf ich nicht so vermessen sein, meine operierten "Plastikbrüste" mit natürlich gewachsenen und voll funktionsfähigen Milchdrüsen gleich zu setzen. Das bisschen Drüsengewebe will bei mir einfach keine Milch produzieren. Da half weder ein streßbedingt zu hoher Prolaktinwert, noch unermüdliches Massieren oder Nippelsauger aus dem Erosshop. Ob nicht operierte Brüste auch innen ein Tast- oder Druckgefühl vermitteln, weiß ich nicht. Silikonimplantate können das nicht leisten. Aber das Gefühl, das die Hautoberfläche inkl. der Nippel vermittelt, ist erstaunlicherweise gar nicht so viel anders.


Natürlich merkt man die Hügel, wenn man in Seitenlage oder auf dem Bauch liegt. Auch unflexible und enganliegende Stoffe, z.B. ein straffes Seidentop, bedeuten, dass man zu jeder Zeit das Vorhandensein der Brüste spürt. Verglichen jedoch mit dem Tragegefühl von hochwertigen medizinischen Silikon-Prothesen, wie ich sie ja 2 Jahre lang getragen habe, ist der Unterschied doch nicht so extrem. Das erklärt sich dadurch, dass man im täglichen "Umgang" ja nun meist einen BH trägt, auch, wenn der eigentlich gar nicht erforderlich wäre, denn die operativ gestalteten Brüste sind so jugendlich straff, dass, abgesehen von sportlicher Betätigung, eigentlich keine Stützung und Formgebung erforderlich ist.
Ein BH soll natürlich nicht das Brustgefühl verstärken, sondern mildert es üblicherweise oder blendet es fast aus. Gerade gepolsterte, gut passende und bequeme BH's (gibt es solche tatsächlich?) schaffen es eine Körbchengröße mehr vorzutäuschen und gleichzeitig das Brustgefühl weitestgehend auszublenden. Sitzt man bei der Arbeit bewegungslos vor dem PC, ist das fast kein Unterschied zwischen haben und nicht haben, also zwischen Frau sein und Mann sein. Erst bei Bewegung, bei Berührung und durch entsprechende Bekleidung wird mir dann wieder bewusst, dass sich da noch was "vor der Hütte" befindet.

 

Mit den geänderten Proportionen und mit der zusätzlichen Existenz der Brüste umzugehen, muss tatsächlich auch gelernt werden. 2 Beispiele:

1. Schon vor der Brust-OP in der ersten heißen Phase der Hormontherapie musste ich schmerzhaft lernen, dass man doch besser vorsichtig um Ecken rennt. Wenn die Hormone wirken, wie sie sollen, dann sind die werdenden Brüste doch sehr empfindlich. Wie immer gilt hier die Regel: Wenn es nicht schmerzt und juckt, tut sich auch nichts. Jedenfalls nahm ich in dieser Phase in meiner morgendlichen Eile einen Türdurchgang zu eng und streifte den Türrahmen mit der Brust.  AUA!  Danach war ich wach.
2. In der Umkleidekabine bei NewYorker: Da bin ich, weil warm und Sommer, mal ohne BH hin und habe in der Kabine unbedarft das T-Shirt etwas hochgeschoben, um einen hoch sitzenden Rock besser betrachten zu können. Beim Blick in den Spiegel bin ich echt erschrocken. OMG!!! Da blitzen mir zwei Brüste zwischen Rock und Shirt entgegen. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass diese halboffene Kabine eine echte Privatsphäre gar nicht zulässt, weil jeder (Mann), der will, ohne Weiteres hinein spähen kann. Schnell ziehe ich das Shirt herunter, um Schlimmeres zu verhindern.


Fazit: Meine neuen Brüste sind schneller zur Gewohnheit verkommen, als ich gedacht hätte. Ich muss allerdings noch lernen, vorsichtiger und nicht so unbedarft mit ihnen umzugehen. Ich rede von sozialer Verantwortung, nicht von Eigenschutz: Wenn ich bedenke, was manche Männer oder schlimmer noch, pubertierende Jungs dafür gäben, "echte" Titten in natura sehen zu können. Welche psychischen Folgen da schon ein kurzer Blick auf nackte Brüste haben kann, ... (siehe Eintrag unten "Einschulung und Grundschule") ... dann muss ich vorsichtiger und verantwortungsbewusster mit diesem neuen "Gefahrenpotenzial" umgehen.

Junge Mädchen lernen dies schon anfangs der Pubertät und verinnerlichen dann einen meist zeitlebens gültigen Verhaltenskodex, der den aktuellen sozialen Konventionen genügt. Als Mann war ich diesbezüglich frei von Konventionen und BH's. War mir heiß, habe ich mein Shirt eben ausgezogen. Jetzt muss ich auch die damit verbundenen Beschränkungen lernen. Autodidaktisch, denn es gibt niemand, der/die mir diesbezüglich ins Gewissen redet.


Warum muss ich das überhaupt? Weil ich transident, also eine Transfrau bin und somit die gleichen Ansprüche wie eine biologisch geborene Frau habe. Wäre ich ein Mann oder Transvestit, so könnte mir das wohl schnuppe sein und ich würde mir den ganzen Tag an den Nippeln...

Ich hingegen bin erstaunlicherweise erst glücklich, wenn ich mir meine bisherigen Freiheiten durch ein geändertes Verhalten und das meist unnötige Tragen von BH's derart beschränken kann, wie es eine Frau aufgrund sozialer Kontrolle und ggf. aus rein physisch-praktischen Gründen (ja, ja, die Schwerkraft) schon von klein auf tut.
Und tatsächlich: Ein schlecht sitzender BH mit schmalen einschneidenden Trägern ist höchst unbequem und über den Tag einfach nur lästig und doch erdulde ich ihn gern in dem Bewusstsein, dass ich nun eine Frau bin.

 

 

* Technische Daten:

Ausführung im Uni-Klinikum Essen - Brustzentrum der Frauenklinik, Dr. Hoffmann.
OP-Verlauf sehr gut. 10 Tage Klinik + 6 Wochen Kompressions-BH + ca. 3 Monate Heilung

Vorher nicht mal Körbchen AAA. Nur minimale Entwicklung von Drüsengewebe. Deshalb hat die Krankenkasse nach dem üblichen Zaudern auch gezahlt.

Hinterher 90 B-C. Runde Silikon-Implantate der neuesten (und sicheren) Generation, 450 g/Implantat

Einschränkungen: anfängliche Taubheit, Schmerzen, für meinen Geschmack etwas zu hohe Viskosität

Insgesamt bin ich damit aber sehr zufrieden.

26.10.2017


Typisch weiblich, typisch männlich - Der geschlechtsspezifische Erfahrungshorizont

 

Dass Frauen andere Interessen haben, als Männer, ist bekannt. Es mag ja Ausnahmen geben, wo sich eine Frau auch mal (mir vollkommen unverständlich) für Fußball interessiert, aber gemeinhin ist das wohl eher selten der Fall. Umgekehrt gibt es kaum einen Mann, der einem 5-stündigen Shopping-Marathon durch 20 verschiedene Modekaufhäuser und Boutiquen etwas abgewinnen kann oder eine Schuhsammlung mit 200 Paar Schuhen sein eigen nennt.

 

So gibt es typisch weibliche und typisch männliche Interessen, die schon in der Kindheit geprägt werden. Wenn ich an die rosa-pink-lila Farbexplosion in der Mädchenspielzeugabteilung denke. Diese Konditionierung muss ja irgendwo hängen bleiben. Es gibt aber auch eine biologisch unterschiedliche Entwicklung, die hormonell gesteuert wird. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass es für Jungen und Männer Spielzeug und Freizeit-Equipment bis ins hohe Alter zu kaufen gibt. Der Funktionsmodellbau z.B. begeistert nicht nur 15-jährige Jungen, sondern genauso noch die sogenannte "Silbergeneration".

Das Spielzeugangebot für Mädchen endet komischerweise aber spätestens mit ca. 13-14 Jahren. Spezifisches Spielzeug, das die Interessen 16-jähriger Mädchen trifft, gibt es einfach nicht zu kaufen. Da sich das Angebot bekanntermaßen nach dem Bedarf richtet, darf folgerichtig vermutet werden, dass mit Beginn der Pubertät bei Mädchen jedes Interesse an Spielzeug erlischt. Jungen hingegen bleiben für "Spielzeug" empfänglich und behalten dieses Interesse auch bis ins hohe Alter.

 

Ein Beispiel aus der Praxis: Unbedarft, da kinderlos, hatte ich in verschiedenen Spielzeuggeschäften nach einem passenden Geschenk für meine damals 16-jährige Nichte gesucht und musste lernen, dass es so etwas de facto nicht gibt. Selbst im amerikanischen Spielzeug-Megastore konnte mir kein Fachberater helfen oder einen Tipp geben, was man denn da schenken könne. Nachdem ich mich zunächst darüber aufgeregt hatte, ergab auch die Befragung meines Bekanntenkreises keine Antworten auf die Frage, was schenkt man einer 16-Jährigen. Letzten Endes meinte die Mutter / meine Schwägerin, es sei wohl das Beste, ich würde einen Gutschein eines Modekaufhauses schenken. Sie wüsste allerdings auch nicht, was ihre Tochter nun wirklich zum Geburtstag haben wolle und man könne ihr eh' nichts recht machen (die Pubertät halt).

So zeigt sich, dass das mangelnde Angebot der Spielzeugindustrie tatsächlich eine klare Ursache hat: Mädchen spielen nicht mehr mit rosa-weißen Plüsch-Einhörnern, sobald die Hormone sie zur Frau wandeln. Das geschieht mit der ersten Periode ja recht abrupt und schlagartig ändert sich auch die Interessenslage. Unbedarftes Spielen ist out. Soziale Medien (Smartphones), Mode, Schuhe (Marken-Sneaker), Kosmetik, Schmuck und nicht zuletzt Jungs! erfordern die ganze Aufmerksamkeit.

Wir wissen, dass die Entwicklung von Jungen und Mädchen mit beginnender Pubertät nicht nur die physischen Unterschiede der Geschlechter verstärkt, sondern auch unterschiedlich schnell verläuft. Ein 14-jähriger Junge hinkt in seinem kognitiven Entwicklungsstand deutlich hinter einem gleichaltrigen Mädchen her. Das bewirkt, dass Mädchen in diesem Alter mit gleichaltrigen Jungs nichts anfangen können und Jungs total überfordert sind, wenn sie mit diesen einerseits zickig reagierenden und doch andererseits so komisch erwachsen daher kommenden Mädchen umgehen sollen.

 

Doch was bedeutet das nun, wenn eine Trans*Person, die erst nach der Pubertät ihren Shift und ihr Outing vollzogen hat, bis dahin sowohl eine gegengeschlechtliche Erziehung als auch eine gegengeschlechtliche, biologisch-hormonelle Entwicklung erfahren und genommen hat?

 

Es bedeutet zunächst einmal, dass es an geschlechtsspezifischer Erziehung und geschlechtsspezifischen Erfahrungen fehlt, die alle Menschen mit "normaler" sozialer Entwicklung in Kindheit und Jugend haben sammeln können. Die Erfahrungen, die stattdessen gemacht wurden, schaffen nun einen vollkommen gegensätzlichen Background, der von den lieben Mitmenschen erst mal verstanden werden muss.

Beispiel: Eine Trans*Frau Ende 30, 1.80m groß, sportlich-kräftige Statur, dafür mit einem weniger tollen Passing, wird auf der Straße von zwei "lieben Mitmenschen" als solche erkannt, angemacht, beleidigt, diffamiert und nach einigen verbalen Attacken auch geschubst. Nach dem dritten Schubser schlägt die Trans*Frau einen von beiden krankenhausreif. Der andere ergreift die Flucht.

Das ist sicher übel. Und ohne jetzt politisch zu werden und darüber zu diskutieren, ob die beiden Typen einen Migrationshintergrund besaßen oder juristisch zu diskutieren, ob das nun Notwehr war, muss festgestellt werden, dass hier üblicherweise etwas nicht verstanden wird. Die Allgemeinheit versteht nicht, dass eine "Frau" sich auf diese Art zur Wehr setzt, denn Frauen gelten stets als wehrlos, weswegen sie Männer beim kleinsten Anlass sogar per Ohrfeige schlagen durften, umgekehrt aber nicht. Das wurde bislang gesellschaftlich akzeptiert. Angesichts vieler Fälle von häuslicher Gewalt, die von Frauen gegen ihre (Ehe-)Männer ausgeübt wird, ist das natürlich genauso zu verurteilen, wie die häusliche Gewalt von Männern ihren Frauen gegenüber.

Die beiden "lieben Mitmenschen" hingegen haben nicht verstanden, dass eine Trans*Frau, wenn sie sich erst spät geoutet hat, ggf. einen männlichen Background besitzt, der in solchen Fällen wieder zum Vorschein kommt. In unserem Beispiel und zum Nachteil für die beiden Angreifer, hatte die Trans*Frau nach Ihrer Bundeswehrzeit jahrelang Kampfsport (Vollkontakt-Karate) betrieben und dadurch versucht, ihre Transsexualität durch besonders männliche Hobbies zu verdrängen und zu vertuschen. Dies ist eine nicht eben selten auftretende Erscheinung bei bewusster Verdrängung. Ein solcher Erfahrungshorizont wird bei einer Frau nicht vermutet. Zum Pech für unsere beiden Mitbürger.

 

So können sich geschlechtsspezifische Interessen erst nach dem Shift und dem Outing frei äußern. Gerade bei Spätentwicklern, die sich ihrer Transidentität erst spät bewusst werden, kann der Wandel im Bereich der Interessen und Hobbies sehr schnell vonstatten gehen. Da die Anzahl von Interessen und Hobbies durch die dafür zur Verfügung stehende Freizeit begrenzt ist, treten häufig einige alte Interessen in den Hintergrund, während sich andere neu ausbilden. Statt Kampfsportverein sorgt nun die Zumba-Tanzgruppe für den sportlichen Ausgleich. Statt in sportliche Autos wird das ganze Geld nun in die High-Heel-Sammlung gesteckt.

Es gibt natürlich auch viele Interessen, die sich nicht ändern. Ich habe festgestellt, dass man sich mit Trans*Frauen immer noch prima über Science-Fiction-Filme unterhalten kann. Das Interesse an SF ist bei Bio**Frauen normalerweise doch eher gering.

Sicher hat sich eine transidente Person immer schon für alles interessiert, was ihrem gefühlten Geschlecht entsprach oder dafür als normal angesehen wird. Vor dem Outing konnte sie diese Interessen aber nicht ausleben. So ist das Outing der letzte große Befreiungsschlag und alle Interessen können plötzlich ungehindert ausgelebt werden.

 

Ein gegengeschlechtlicher Erfahrungshorizont, d.h fehlende geschlechtsspezifische Erfahrungen verbunden mit fehlender Beratung sowie die Möglichkeit, ab sofort alle Neigungen ungehemmt ausleben zu können, sorgen aber in der Praxis für so einige Lacher und Verwirrungen.

Hinzu kommt, dass für Trans*Personen nach dem Outing das gute alte Sprichwort gilt: "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert."

Einerseits ein Segen, denn das bedeutet Freiheit. Andererseits auch schwierig für die Trans*Person, denn die soziale Kontrolle versagt dadurch häufig. Einer älteren Trans*Frau wird deshalb nicht gesagt, "Hör mal, der Rock da steht dir nicht. Der ist deutlich zu kurz für dein Alter." Was einer Bio**Frau schon in ihrer Kindheit durch die Eltern und in der Pubertät durch die Freundinnen beigebracht wurde, das muss eine Trans*Frau später erst noch lernen. Ihr hat niemand gesagt "Zieh den Rock aus, der steht dir nicht". Ihr wurde gesagt "Zieh sofort den verd... Rock aus! Du bist ein Junge". Und tat sie es nicht, gab es nicht selten Prügel.

 

So kann ich an dieser Stelle nur um Verständnis für alle Trans*Personen bitten, die da in ihrem Erscheinungsbild etwas exaltiert daher kommen. Nehmt sie an die Hand und helft Ihnen, anstatt sie auszulachen und zu verstoßen. Ihnen fehlt die geschlechtsspezifische Erfahrung und sie sind mehr als froh, wenn Ihnen jemand mit Erfahrung helfend zur Seite steht.

 

 

Definitionen:

Mit Trans*(Person) werden in diesem Beitrag alle als transident diagnostizierten Personen bezeichnet. Also transidente Frauen und Männer, die sich trotz gegengeschlechtlicher Biologie vollständig als Frau oder Mann identifizieren. Ausgenommen sind hier dieses Mal alle anderen Personen, z.B. Transvestiten, Intersexuelle, Unbestimmte und Travestiekünstler sowieso.

 

Trans*Frau: Frau, die als Mann geboren wurde.

Trans*Mann: Mann, der als Frau geboren wurde.

Bio**Frau: Frau, die mit weiblichem Geschlecht geboren wurde.

Bio**Mann: Mann, der mit männlichem Geschlecht geboren wurde.

08.11.2017

 

Passing - Ein klares Statement für mehr Selbstvertrauen

 

Zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich vorab zunächst die Begriffe Outing, Passing und Mode, so wie ich sie verstehe, erklären und abgegrenzen:

 

"Outing" verstehe ich als "Coming out", d.h. als selbstbestimmte Bekanntmachung meines Transgender-Status gegenüber meinem gesamten sozialen Umfeld. Bei einem "Outing" stehe ich also gegenüber der Öffentlichkeit zu mir selbst und dem, was ich bin, nämlich transident. Ich verwende den Begriff "Outing" dabei prinzipiell unabhängig von der sexuellen Orientierung, spreche in diesem Beitrag jedoch von mir und meinem persönlichen Erfahrungen als MzF*-Transgender.  Ich verstehe das "Outing" nicht als Diffamierung, sondern als offensive Befreiung.

 

"Passing" kommt von passieren und bezeichnet hinsichtlich der Geschlechtsidentität die Fähigkeit einer Trans-Person auf den ersten Blick hin als Mitglied desjenigen Geschlechts akzeptiert oder eingeschätzt zu werden, mit dem sie sich identifiziert und das sie nach außen hin zeigt, also in der Öffentlichkeit als Frau oder Mann durchzugehen und zu bestehen. Üblicherweise umfasst das "Passing" eine Kombination aus körperlichen Geschlechtsmerkmalen (z. B. Körpersilhouette, Frisur, Kleidung) und geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen, die kulturell unterschiedlich sein können. Für das "Passing" ist unabhängig vom Erscheinungsbild, das Selbstvertrauen und sichere Auftreten genauso wichtig, wie äußerliche Merkmale.

Für von Geburt aus männliche Personen (Trans*Frauen) beinhaltet das "Passing" typischerweise das Tragen einer Perücke oder eine für Frauen typische Haargestaltung, die Entfernung von Barthaaren und das Tragen von Make-up, um das Gesicht weiblich(er) erscheinen zu lassen, das Ändern der Körperform, um der einer Frau ähnlich(er) zu sein, das Tragen weiblicher Kleidung und Accessoires, das Sprechen in einer Stimmlage, die möglichst weiblich klingt und die Annahme weiblicher Verhaltensweisen.

 

"Mode":  "Mode ist das, was man selber trägt. Geschmacklos ist das, was andere tragen." (Oscar Wilde)

 

Motivationen zum Tragen modischer Kleidung:

  • Lust an Abwechslung
  • Bedürfnis nach Anpassung, nicht unangenehm auffallen: Konformismus durch Tragen der bereits in der Bezugsgruppe etablierten Mode, Bedürfnis nach Anpassung infolge von Unsicherheiten in ästhetischen oder anderen Fragen
  • Bedürfnis nach Abgrenzung: Lust am modischen Experiment, Beeindrucken, Abhebung von der Masse, Statussymbol: Tragen der neuen, in der Bezugsgruppe noch nicht etablierten Mode; Zeigen, dass man auf dem neuesten Stand ist, kreativ ist, innovativ ...; Tragen sehr seltener, individueller und teurer Moden; Zur-Schau-Stellen des gesellschaftlichen Ranges

 

Evolutionsbiologisch und soziologisch gesehen dient Mode m.E. dazu, für die eigene Person zu werben und potentielle Partner zu interessieren und anzulocken. Partner sind aus dieser Sicht Sexpartner mit dem Ziel Fortpflanzung, früher gerne mit dem treffenden Begriff "(Ehe-) Gatten bzw. Gattinnen" bezeichnet, das kommt tatsächlich von "begatten".

Der Begriff "Mode" trägt also dem Tatbestand Rechnung, dass Kleidung nicht nur dazu dient, den nackten menschlichen Körper vor Umwelteinflüssen und Blicken zu schützen, sondern auch dazu, ihn ästhetisch zu gestalten. Modische Kleidung dekoriert, formt, hebt körperliche Vorzüge hervor, kaschiert als Mangel empfundene Komponenten des Aussehens, drückt evt. auch ein Lebensgefühl aus oder trifft eine ästhetische Aussage. Wechselnde "Mode" sorgt für Abwechslung bei den Kleidungsstilen (und guten Umsatz der Bekleidungsindustrie).

 

Das bei vielen Transidenten* ausgeprägte Bedürfnis nach Konformität sorgt dafür, dass diese die aktuelle "Mode" für sich zum Gesetz erheben. Konformität wird durch das Tragen von Kleidung erreicht, die möglichst dem (modischen) Stil entspricht, den die breite Masse am häufigsten trägt. So könnte man sagen, dass es ein "statistisches Modemittel" gibt, das sich aber altersspezifisch, zeitgemäß, lokal und ethnographisch unterscheidet.

In Deutschland ist dies bei Frauen im Alter von ca. 15-40 aktuell folgender Durchschnitts-Style:

Marken-Sneaker (meist weiß), Jeans (meist skinny), schwarzes Shirt, als Jacke meist ein kurzer Blouson aus Jeans oder schwarzem Kunstleder oder alternativ ein grauer oder schwarzer Kurzmantel. Mit diesem Outfit ist ein Maximum an Konformität zu erreichen. Man geht in der Menge gleichgestylter Menschen förmlich unter. Die Häufigkeit dieses Styles in Deutschland ist fast schon erschreckend. Verglichen mit der farblichen Vielfalt von z.B. nord-indischer oder zentral-afrikanischer Frauenbekleidung ist das Trauerbekleidung und ich empfinde diese farbliche Eintönigkeit auch so.

 

Es gibt darüberhinaus Fälle, wo auf geschlechtsspezifische Kleidung bewusst verzichtet wird, z.B. kleiden sich viele Lesben absichtlich nicht typisch weiblich, um die darauf fixierte männliche Anmache zu vermeiden.

 

"MzF" = Mann zu Frau = Trans*Frau

"FzM" = Frau zu Mann = Trans*Mann

transident:

Frauen, die sich trotz gegengeschlechtlicher Biologie vollständig als Mann wahrnehmen und identifizieren.

Männer, die sich trotz gegengeschlechtlicher Biologie vollständig als Frau wahrnehmen und identifizieren.

 

Weitere Begriffserklärungen finden sich auch am Schluss der älteren Beiträge.

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Nun aber endlich zum eigentlichen Beitrag:

 

Ich kenne viele Trans*Frauen, die sich Absatzschuhe versagen, obwohl sie diese toll finden und niemals ein rotes Kleid tragen würden, auch wenn es ihnen noch so toll stehen würde. Statt dessen laufen sie jeden Tag in Jeanshosen, Schlabber-Shirt und Sneakers herum. Wenn ich ihnen dann vorhalte, dass sie damit ihre gerade gewonnene (Mode-)Freiheit wieder aufgeben und ich das nicht einsehe, so erkenne ich deutlich den inneren Konflikt, den sie mit sich austragen.

 

Nun sollte es natürlich jedem selbst überlassen bleiben, sich zu kleiden, wie er mag. Warum also mische ich mich da ein und wettere gegen diesen Konformismus?

Das einfachere, weil angepasste und unauffällige Passing ist doch schließlich ein gewichtiger und einsehbarer Grund, das zu tun und also auch wichtig, um im Alltag besser klar zu kommen. Und ich schließe ja nicht aus, dass Transidente, genauso wie Bio*Frauen und -männer auch mal Unisex-Klamotten tragen dürfen.

 

Der Punkt ist, dass Transidente sich mit ihrem Outing die Freiheit erkämpft haben, endlich die Kleidung tragen zu dürfen, die ihrem empfundenen Geschlecht entspricht. Dies ist nicht die Kleidung, die die Gesellschaft Ihnen bislang zugestanden hat. Daher müssen Trans*Personen sich diese Freiheit erkämpfen. Sie müssen sich gegen alle Widerstände ihrer häufig konservativ, traditionell und noch dazu intolerant denkenden Mitmenschen durchsetzen. Das Outing ist dafür unbedingte Voraussetzung. Es bewirkt die Befreiung von diesem sozialen Zwang.

 

Ergebnis ist, das geoutete Transidente an sich eine relativ große modische Freiheit besitzen, die sogar größer ist, wie die Modefreiheit "normaler" Personen. Trans*-Personen werden geschmackliche Verirrungen im Bekleidungsstil zugestanden. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Tragen nicht altersgemäßer Kleidung (z.B. Minirock mit 60+).

Konformismus hingegen führt dazu, dass Transidente sich ihre durch das Outing gerade gewonnene Freiheit wieder einschränken und für ein einfacheres Passing auf modische = auffällige Kleidung verzichten.

Diese MzF*-Transidenten würden freiwillig niemals Schuhe mit (hohen) Absätzen oder betont weibliche Kleidung in bunten, auffälligen Farben tragen, obwohl sie sich das, Aussehen hin oder her, doch eigentlich wünschen und erlauben könnten.

 

Der Grund dafür ist mangelndes Selbstvertrauen. Aus Angst aufzufallen und öffentlich angemacht zu werden, beschränken sich Transidente sehr häufig selbst und tragen möglichst konforme Bekleidung. Sie sehen sich nicht in der Lage, ein auffälligeres Erscheinungsbild, das Mode nun mal erzeugt, in der Öffentlichkeit selbstbewusst zu vertreten. Sie haben Angst erkannt und öffentlich diskriminiert zu werden. Sie können deshalb nicht mit modischer Kleidung für sich werben. Sie verkommen zu grauen Mäusen, d.h. zu Menschen, die auf den ersten Blick uninteressant sind und haben in Folge Schwierigkeiten, andere Menschen oder auch einen (neuen) Lebenspartner kennenzulernen.

 

Ich frage daher provokativ: Warum soll ich mich outen und mir (Mode-)Freiheit erkämpfen, wenn ich mich anschließend aus Angst in dieser Freiheit wieder selbst beschränke?

 

Vor dem Outing habe ich es gehasst, Herrenschuhe und Bekleidung tragen zu müssen. Nach dem Outing darf ich praktisch fast alles tragen. Aus Gleichberechtigungsgründen sind Frauen ja sogar ehemals rein männliche Kleidungsstücke erlaubt (z.B. ein Hosenanzug, jaja die Merkel), während z.B. eine Feinstrumpfhose für Männer absolut tabu ist (selbst, wenn sie sich die Beine rasieren). Und trotzdem laufe ich dann aus Angst wieder in Jeans und Unisex-Turnschuhen und nur in diesen herum? Das konnte und musste ich auch schon vor dem Outing!

 

Hinzu kommt, dass für das "Passing" unabhängig vom Erscheinungsbild, das Selbstvertrauen und sichere Auftreten genauso wichtig ist, wie äußerliche Merkmale.

Das ist reine Psychologie. Eine Frau, die abends im Dunkeln allein unterwegs ist und sich ständig angstvoll umschaut, wird viel eher überfallen, wie eine selbstsicher auftretende Frau in der gleichen Situation. Menschen reagieren diesbezüglich genauso, wie eine Meute hungriger Dingos (Wildhunde). Ein Beutetier, das deutliche Angstsignale aussendet, wird bevorzugt angegriffen, weil es die leichtere Beute ist. Eine Trans*person, die in ihrer neuen "Rolle" unsicher ist und sich in der ungewohnten Kleidung noch nicht wohl fühlt, sendet gleichfalls Angstsignale aus. Und gerade das Klientel, dass Transpersonen am meisten fürchten, z.B. Rechtsradikale oder andere Transphobiker, reagiert dann bevorzugt darauf. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, die riechen die Angst, wie die oben genannten Dingos. Es sind aber tatsächlich die meist unbewusst ausgesendeten Angstsignale in den Bewegungen, den Gesten und in der Mimik, die schon aus größerer Entfernung verräterisch wirken.

 

Ich sehe diese Selbstbeschränkung leider viel zu häufig in der transidenten Szene. Der Grund ist jetzt benannt und man kann daran arbeiten. Mangelndes Selbstvertrauen kann auf viele Arten gestärkt werden. Z.B. durch bloße Gewohnheit. Alles, was man braucht, ist Mut, Vertrauen in die eigene Stärke und Lebensfähigkeit sowie ein klein wenig Standvermögen, wenn man Neues ausprobiert! Wer furchtlos auftritt, hat in unserem Land meist wenig zu befürchten. Ganz ohne Vorsorge und Vorsicht sollte man natürlich trotzdem nicht sein. Auch ich vertraue deshalb gerne auf ein kleines Döschen Pfefferspray, das mir in als unsicher empfundenen Situationen den nötigen Halt für einen sicheren Auftritt gibt. Dabei musste ich es noch nie einsetzen. Es genügt normalerweise schon, zu wissen, dass man es im Notfall zur Hand hat.

Es gibt noch eine ganze Anzahl weiterer Möglichkeiten sich an etwas festzuhalten. Nicht empfehlenswert ist eine Zigarette, weil gesundheitsschädlich und zur Verteidung echt ungeeignet. Angesichts der relativ hohen Zahl von Rauchern in der transidenten Szene sehe ich mich zu dieser Feststellung genötigt.

 

Die beste Hilfe aber erhält man in der Gruppe. Unsichere Transidente sollten sich, so oft es geht, in einer Gruppe erfahrener Transidenter und/oder befreundeter Bio*Frauen bewegen und innerhalb des Schutzes, den dieser Gruppenrahmen bietet, Neues ausprobieren und für sich etablieren. Wer in der Gruppe erfahren hat, dass er mit rotem Kleid und Pumps gut aussehen und ausgehen kann und dadurch Vertrauen in sein neues Outfit gewonnen hat, der kann sich damit auch alleine sehen lassen.

 

Selbstvertrauen ist extrem wichtig, um im transidenten Alltag zu bestehen und nicht "vor die Hunde" zu gehen!

 

11.11.2017


Geschichten aus dem Tierreich - Pinkeln oder Quatschen?

 

Früher, als alles schlechter war, da habe ich, wenn ich alleine auf einer öffentlichen Herrentoilette vor dem Urinal stand, immer Angst gehabt, dass noch jemand (also ein anderer Mann) herein kommt, um auch zu pinkeln. Es kam natürlich häufig genug vor, dass dann tatsächlich jemand herein kam, ans Nachbarurinal getreten ist und ich in dem Moment gehemmt war und nicht pinkeln konnte. Ich weiß, dass dies vielen Männern so geht und nicht nur ich damit ein Problem hatte.

 

Heute hingegen, während ich auf der Damentoilette vor dem Spiegel stehe, genieße ich es, wenn ich mich mit einer oder mehreren anderen Frauen unterhalten kann (z.B. über die Dauerbrennerthemen Schminken oder Männer).

 

Warum ist das so?

Warum können Männer nicht miteinander pinkeln und Frauen dagegen pflegen gerne offenen sozialen Austausch?

 

Als Ursache hierfür habe ich niederste Instinkte aus dem Tierreich ausgemacht, die schon seit Urzeiten in uns schlummern. Bei Männern zeigt sich auf dem Klo deutliches Revierverhalten und Konkurrenzdruck. Im Tierreich "markieren" vor allem männliche Säugetiere ihre Reviere mit Hilfe ihres Urins und stecken auf diese Weise mit Hilfe einer regelmäßig erneuerten Duftgrenze ihren Lebens- bzw. Jagdraum ab. Das ist wichtig, denn so wird die Übervölkerung durch zu viele Nahrungskonkurrenten einer Spezies auf zu kleinem Raum vermieden. Eine gleichmäßige Verteilung der Spezies verhindert also eine Hungersnot und die Dezimierung der Art. Beim männlichen Homo sapiens (der wird tatsächlich auch zu den Säugetieren klassifiziert ;-) scheint trotz aller Weisheit doch etwas von diesem Urinstinkt hängen geblieben zu sein. Dieser Instinkt flüstert dem Mann beim Pinkeln offensichtlich in sein Unterbewusstsein, dass andere Männer die neben ihm ihre "Marke" setzen, mögliche Nebenbuhler sind und ihm sein Revier streitig machen wollen. Das Männerklo ist in diesem Zusammenhang immer als Zentrum dieses Reviers oder Nebenreviers zu sehen.

Folge: Konkurrenzdruck und Rangkampf. Der Mann, der bereits pinkelt oder gerade loslegen möchte, gerät in Streß. Es ist ja auch echt kompliziert. Einerseits muss er sein Geschäft erledigen, andererseits muss er den Konkurrent bezüglich seiner "Potenz" und Stärke einschätzen und mit sich vergleichen. Das so unauffällig, wie nur möglich, da jeder Seitenblick als Provokation verstanden werden könnte. Gleichzeitig befindet er sich in einer fast hilflosen Lage. Er muss eigentlich dringend sein kleines Geschäft erledigen und kann das nicht mehr aufschieben, bis der Konflikt gelöst ist. Der Stress führt zu einem schnellen Adrenalinausstoß. Dieses sorgt bekanntlich für eine erhöhte Bereitschaft zur Flucht oder zum Kampf.

 

In dieser Situation ist ruhiges Pinkeln also meist nicht möglich. Je nachdem, wie nun das Ergebnis der Abschätzung des potentiellen Konkurrenten ausgefallen ist, gibt es nun zwei Möglichkeiten:

 

a) Der andere Mann, der hinzugekommen ist, ist deutlich unterlegen (z.B. kleiner, schwächer, hässlicher oder einfach nur alt): In diesem Fall wird Macht demonstriert. Der Überlegene strüllt demonstrativ ins Wasser. Zur Erklärung für die Damen, die mit Urinalen evt. nicht so vertraut sind: Da es sich auch für Männer normalerweise nicht schickt, laute Klogeräusche zu produzieren, ist Mann gehalten, seinen Strahl schräg gegen die Innenwand des Urinals zu lenken. Er kann aber seine Dominanz zeigen, indem er einem Konkurrenten klar macht, dass nur er hier in seinem Revier jederzeit so laut sein darf, wie er will. Kleinhirn denkt's und überlegener Mann strüllt in den Wasserüberstand des Urinalsiphons, was wunderbar laut plätschert. Dadurch wird der unterlegene Mann noch mehr eingeschüchtert. Ich habe noch nie erlebt, dass beide gleichzeitig ins Wasser gepinkelt haben. Das hätte bestimmt eine weitere Eskalation des Klokonfliktes zur Folge gehabt.

 

b) Der andere Mann, der hinzugekommen ist, ist deutlich überlegen: Der unterlegene Mann gibt klein bei. Die Angst / das Adrenalin schnürt ihm den Blasenausgang zu, schließlich muss er jeden Moment fliehen oder kämpfen. Es geht nichts mehr. Statt dessen muss er aber den Fluchtreflex unterdrücken und sein Gesicht wahren. So tun, als würde er pinkeln. Die Zeit irgendwie rum kriegen, bis der andere endlich fertig ist und siegesbewusst abzieht. Furchtbar, wenn dieser dann noch absichtlich langsam macht, seine Übermacht auch noch schamlos ausnutzt und deutlich herschaut, wie der unterlegene Mann mit hochrotem Kopf verzweifelt versucht, wenigstens ein paar Tropfen abzuzapfen.

 

Dieser Konkurrenzkampf in Verbindung mit der Furcht, dass jede freundliche oder freundschaftliche Geste von homophoben Dritten als Schwulheit missverstanden werden könnte, führt also auf dem Männerklo dazu, dass auch jeder freundschaftlich soziale Smalltalk  im Keim erstickt wird. Selbst, wenn die "Rangpositionen" bereits abgeklärt und gefestigt sind, beispielsweise wenn sich der CEO und ein Angestellter zufällig gemeinsam auf der Firmentoilette begegnen, ist das nicht möglich.

 

Ausnahmen gibt es meiner Meinung nach nur, wenn die oben beschriebene Konkurrenz nicht besteht. Das ist nur in seltenen Ausnahmen der Fall, z.B., wenn sich zwei homosexuelle Männer auf der Herrentoilette treffen. Ebenso natürlich bei nicht geschlechtsreifen Jungs oder Volltrunkenheit. Aber selbst gesetzte alte Herren haben Probleme, denn die Potenz bleibt ja bei guter Gesundheit bis ins hohe Alter erhalten. Somit konkurrieren selbst zwei 75-jährige.

 

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Frauen hingegen grenzen ihr Revier anders ab. Hier herrscht Konkurrenzdruck, Missgunst und Neid in wesentlich enger gesteckten Revieren: Also, und das wird Emma an sich nicht gerne hören, in erster Linie in der Küche, aber zum Glück für die moderne Emanze auch im Büro.

Auch eine weibliche Hauskatze (Felis silvestris catus) markiert und verteidigt ihr (Freilauf-)Revier. Dieses ist jedoch kleiner, als das Revier eines potenten (nicht kastrierten) Hauskaters und besitzt durchaus Grenzbereiche, in denen freundliche Kontakte zu anderen weiblichen Hauskatzen möglich sind.

Auch, wenn weibliche Konkurrenzkämpfe genauso unerbittlich ausgeführt werden, wie männliche, so ist doch ihre Art ganz unterschiedlich. Weibliche Konkurrenz führt auch nicht dazu, dass Frau nicht mehr pinkeln kann, aber das mag sicher auch daran liegen, dass Frau auf unseren öffentlichen Toiletten nicht im Stehen und in Sichtverbindung zu einer möglichen Konkurrentin pinkeln muss, sondern in schön privater Atmosphäre in einer Einzelkabine. So ist der gemeinsame Toilettengang kein Problem und schon der häufige Stau vor der Damentoilette, wie auch die Zeit danach vor dem Spiegel, wo das Make-Up kontrolliert und aufgefrischt wird, wird dazu genutzt, den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen oder sich die bissigsten Kommentare zuzustecken.

 

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Sehr erstaunlich in diesem Zusammenhang ist auch die folgende historische Tatsache: Die Römer (also die Bürger der Stadt Rom)  haben schon vor 2000 Jahren öffentliche Gemeinschaftstoiletten gehabt, die genauso, wie die Thermen (Bäder) zum sozialen Austausch genutzt wurden. Viele Toilettensitze waren dort nebeneinander angeordnet. Um sich zu setzen, musste man nur die Tunika hochheben. Unter den Sitzen floss konstant Wasser und spülte alles sofort weg. Männer und Frauen saßen dabei übrigens meist nicht getrennt.

Der Ausdruck "sein Geschäft erledigen" kommt übrigens daher, dass die Römer beim gemütlichenToilettengang wunderbar ihre Geschäfte miteinander besprechen konnten!

Wir lernen: Der Mensch war in der Lage, durch kulturelle Gepflogenheiten die niederen Instinkte zu unterdrücken. Unfassbar, dass wir uns diesbezüglich wieder zurück entwickelt haben!

 

Fazit und Selbstanalyse:

Ich war früher beim Pinkeln meist gehemmt, was bedeutet, dass ich mich als unterlegen eingeschätzt habe. Ich weiß heute, dass ich einem männlichen Konkurrenzkampf seit jeher aus dem Weg gegangen bin. Ich war nie ein Macho, habe nie die Ellenbogen für das beste Mittel gehalten, um Konkurrenten aus dem Weg zu drängen. Mein Unterbewusstsein deklarierte mich, obwohl groß, jung, sportlich und potent, also schon damals als unterlegen.

 

Warum? Heute weiß ich warum. Heute wissen es alle. Und das ist gut und richtig so.

 

03.01.2019


Diese Momente

 

Es sind diese Momente, die mir auch vier Jahre nach meinem Outing noch immer überraschende Glücksgefühle bescheren und mir bestätigen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe:

 

 

Moment 1


Ich fahre mit dem Fahrrad durch die Stadt. Es herrscht Rückenwind und es geht flott voran. Vor einer Ampel muss ich aber bremsen. Dabei weht mir der Wind meine Haare ins Gesicht. Das Gefühl ist unbezahlbar. Früher habe ich darauf gehofft, dass mir der Wind einmal zufällig die langen Haare einer jungen Frau zutreibt und ich sie berühren und fühlen durfte, was nie geschah. So sind es nun meine eigenen Haare, die mich sanft im Gesicht streicheln. Ich genieße diesen Moment und vergesse ihn nicht.

Man wird sich vielleicht fragen, warum ich mir nicht schon früher die Haare habe lang wachsen lassen, wenn mir das so viel bedeutet. Es wäre ja ohne weiteres möglich gewesen. Aber wäre es das tatsächlich gewesen?

Nein, ich denke nicht. Meine Erziehung und mein Elternhaus hätten mir das nicht gestattet. So bin ich bis zu meinem 48. Lebensjahr einmal im Monat zum Herrenfriseur marschiert und habe mir die Haare kurz stutzen lassen. Weil sich das so gehörte!

 


Moment 2


Ich habe mir (wieder mal ;-) Schuhe gekauft. Es ist ein Paar schwarze Pumps mit hohem Pfennigabsatz, das mir sehr gut passt und auch zu fast jedem Outfit super aussieht. Da ich beim Schuhkauf Stiefel getragen habe und diese, als ich nach Hause kam, ausgezogen habe, muss ich nun die Pumps, die Stiefel und einige Klamotten eine Etage nach oben bringen. So ziehe ich kurzentschlossen die neuen Pumps an, um nicht so viel tragen zu müssen und steige die Treppe im Hausflur hinauf.

Und da erwischt mich wieder so ein Moment. Ich erinnere mich in diesem Augenblick daran, dass ich vor fünf Jahren ebenfalls auf High-Heels durch das ganze Haus gestöckelt bin. Ich weiß es noch genau. Ich war damit im Keller und bin sogar die halsbrecherisch steile Treppe zum Dachboden hinauf gestiegen. Warum? Weil ich ausnahmsweise mal "sturmfreie Bude" hatte. Ich wusste, dass meine Mieter außer Haus waren und habe die Gelegenheit genutzt, außerhalb meiner privaten Wohnungen, in hohen Schuhen zu laufen. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geoutet und es ging mir einfach nur darum, die Absätze mal nicht nur auf weichem Teppichboden, sondern auch auf harten Fliesen und Betonboden zu laufen und zu spüren. Trotzdem ich wusste, dass ich alleine im Haus war, war ich wie immer, furchtbar angespannt und horchte auf jedes Geräusch. Es hätte ja sein können, dass doch plötzlich die Haustür aufgeschlossen wurde und man mich erwischte.
So ist es heute, genau in diesem Moment, für mich so unfassbar, dass ich nun, nach Jahrzehnten des Versteckens und Verheimlichens, in High-Heels laufen darf, so oft und wo immer ich das möchte. Zumindest, solange meine Füße das mit machen. Endlich!

 

 

Moment 3


Ich bin mit dem Mountainbike unterwegs, um nach der langen operativ bedingten Zeit wieder fit zu werden. Aus Bequemlichkeit habe ich keinen Sport-BH angezogen. Es geht einen unebenen, geschotterten Waldweg hinab, der mehrere kleinere Bodenwellen besitzt. Als ich diese mit hohem Tempo überfahre, spüre ich, wie meine Brüste den Beschleunigungskräften folgen. Ein Glücksgefühl durchströmt mich und ich bremse ab, um die Passage noch einmal zu fahren. Dieser Moment war es wert, dass ich ihn noch einmal erleben wollte.
Wer sich jetzt fragt, warum ich dazu nicht einfach etwas auf und ab springe, dem antworte ich: 'Das ist nicht das Gleiche, weil das eine passiv geschieht und das Springen aktiv wäre'. Meine Brustimplantate sind auch sehr fest. So sehen meine Brüste zwar stets gut aus und brauchen trotz ihrer Größe eigentlich keinen BH. Jedoch bewegen sie sich kaum, was das natürliche Bewegungsgefühl leider einschränkt. So genieße ich es, wenn ich meine Brüste unvermittelt einmal richtig spüre, denn Mann wird es kaum glauben, im Alltag vergesse ich sie die meiste Zeit.

 

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©11/2017 Ishana Kumbruch